Urlaub in Rumänien - Szenen aus einem faszinierenden Land
Rumänien und die Taxifahrer. Es ist ja nicht so, als wären wir nicht gewarnt gewesen. Seitenlang wird das Thema in allen Reiseführern behandelt und ausdrücklich zu besonderer Vorsicht gemahnt. Allzu leicht kann man als Tourist in einem fremden Land übers Ohr gehauen werden, und dann bezahlt man schon mal ein Vielfaches des eigentlichen Fahrpreises! Wagemut oder Naivität – kaum angekommen am Bahnhof von Timisoara, steuern wir auch schon zielstrebig den Taxistand an. Wir sind ganz stolz, dass wir dem Fahrer irgendwie kommunizieren können, wohin die Fahrt gehen soll, und los geht’s über die Straßen und Plätze der westrumänischen Großstadt. Bis der Wagen plötzlich hält. Sind wir schon da? Nein. Der Fahrer steigt aus und versucht uns wild gestikulierend zu erklären, dass die Straßennummer, die wir ihm auf einem kleinen Zettel unter die Nase gehalten haben, nicht existiert. Er schimpft, er zuckt die Achseln, er rauft sich die Haare – das Taximeter läuft weiter. Kein Mensch weiß, was passiert wäre, wäre nicht in just diesem Moment Radu aufgetaucht, unser Couchsurfinghost. Er erteilt dem Taxifahrer einen Anschiss, bezahlt die Fahrt und lotst uns zur richtigen Hausnummer, die eigentlich direkt an der Straße liegt. Zuerst zeigt der 29-jährige Programmierer uns seine Wohnung. Seine herzliche Gastfreundlichkeit lassen uns den etwas herben Empfang in Rumänien schnell vergessen: Wir dürfen das gesamte Wohnzimmer besetzen (kein Wunder, wir sind ja auch zu fünft) und sogar Stadtpläne hat K. für uns ausgeruckt. Dann muss er schnell wieder zur Arbeit, die er extra geschwänzt hat, nur um uns in Empfang zu nehmen. Wir machen uns also auf in Richtung Stadt. Timosoara gefällt: Rings um die Altstadt liegt ein Fluss und ein großzügiger Park. Im Stadtzentrum spielt sich das Leben hauptsächlich auf den drei großen Plätzen ab. Es gibt prunkvolle Barockhäuser à la Habsburgermonarchie, eine Synagoge und natürlich auch schon den christlich-orthodoxen Stil. Meine erste orthodoxe Kirche lässt mich beim Betreten laut Luft holen: So eindrucksvoll wirkt der dunkle, ruhige Kircheninnenraum mit seinen goldstahlenden Ikonen auf mich. Ein roter Teppich führt zu einem kleinen Marienbildnis, das permanent von Gläubigen geküsst wird. Die Menschen bekreuzigen sich auch auf der Straße, wenn sie an dem Gotteshaus auch nur vorbei gehen. Im gegenüber gelegenen McDonalds lernen wir gleich noch eine andere Seite Rumäniens kennen: Ein kleiner Romajunge (höchstens fünf Jahre) bettelt um Geld oder Essen.
Abends treffen wir uns mit Radu in einem Restaurant, das direkt am Fluss gelegen ist. Wir lernen das vielleicht beste rumänische Bier, Timisoareana, sowie Radus Freunde kennen. Und Radu hat viele Freunde. Irgendwie fast alle, die im Laufe des Abends in den Biergarten treten, werden sofort an unseren Tisch gewinkt. Bald sind wir von einem Dutzend rumänischer Informatiker umringt. Unser Reiseplan weckt Erstaunen: „Fünf Mädchen reisen ganz allein quer durch Rumänien? Ob wir keine Angst hätten? Nein, sollten wir? Soweit fühlen wir uns wohl in Rumänien. Sehr sogar.
***
Wir schlendern im schönsten August-Sonnenschein durch Sibiu, ehemalige Hauptstadt der in Rumänien lebenden Deutschen, der sogenannten Sachsen. Die Stadt ist ein Schmuckkästchen-herrschaftlich-barocke Stadthäuser mischen sich mit einer charmanten Heruntergekommenheit.
In der Altstadt findet just an diesem Tag ein Folklorefestival statt. Die Straßen sind vollgestopft von Mädchen in rauschenden Tanzröcken, Jungs mit kecken Hüten auf dem Kopf, Musikanten mit Blechblasinstrumenten, Geigen, Akkordeons und Instrumenten, die ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen habe. Die Gruppen kommen aus unterschiedlichen Teilen Rumäniens und aus der ganzen Welt. Fasziniert betrachte ich die jungen, aufgeregt plappernden Traditionsliebhaber: Keine zwei Trachten gleichen einander, aber alle verstehen es, das physische Kapital ihres Trägers gekonnt in Szene zu setzen. So anders als der Diskobesuch war das Dorffest damals auch nicht. Man amüsiert sich und sucht Anschluss, wobei das Äußere eindeutige Signale versendet.
Schließlich setzt sich die Prozession in Bewegung, die Mitwirkenden bewegen sich tanzend und musizierend zum Marktplatz. Dort ist eine große Bühne aufgebaut, außerdem Scheinwerfer, Kabel, Kameras, Übertragungswagen- Wir sind Zeugen eines kulturellen Höhepunktes. Der Platz wimmelt von Menschen aller Altersgruppen. Die schlanke und sympathische Brünette, die durch den Abend führt, begrüßt alle Gäste wie alte Bekannte. Die langjährige Leiterin einer der auftretenden Tanzkreise feiert just heute Abend ihren achtzigsten Geburtstag. Es wird gesungen und eine feuerwerksgeschmückte Torte überreicht, woraufhin die Jubilantin, den Tränen nahe, eine bewegende Ansprache hält. Dann fasst sie ihr Tanzpartner bei der Hand, und die Tanzoma verlässt, sich beständig um die eigene Achse drehend, die Bühne. Der Rock wippt lustig mit.
***
Die Bremsen quietschen, und langsam und ruckelnd kommt der alte Zug zum stehen. Jetzt gilt es nur noch, mit den schweren Reiserucksäcken den ca. einen Meter bemessenden Höhenunterschied zum Bahnsteig zu überwinden, und schon sind wir da: In Copsa Mica, laut Lonely Planet der hässlichsten Stadt Rumäniens. Diesem zynischen und gemeinen Urteil kann man bei näherem Hinsehen --- nur beipflichten.
Warum wollen wir dennoch an diesen unheimlichen Ort??? Wollen wir ja gar nicht. Unser eigentliches Ziel ist ein kleines Dorf in der Nähe, in dem der Vater von meiner Mitreisenden Juli geboren wurde. Zunächst steht es schlecht um unser Vorhaben: Der Ort ist weder mit dem Zug noch mit dem Bus zu erreichen. Zum Glück hilft die Frau am Ticketschalter weiter: Sie bestellt uns ein Taxi. Wir warten auf dem staubigen Bahnhofsvorplatz mitten den streunenden Hunden, Annika: Vielleicht hätten wir sagen sollen, dass wir zu fünft sind? Da kommt auch schon unser Taxi.
Der Fahrer steigt aus. Er sieht die fünf Mädchen. Er sieht die fünf schweren Reiserucksäcke. Er sieht seinen Wagen. Es ist ein Opel Corsa. Er legt die Stirn in Falten. Er kratzt sich am Kopf. Dann muss er plötzlich lachen: „Okay, we can try!“ Fünf Minuten vorsichtigen Herumhantierens und etliche Lachtränen später haben tatsächlich alle Passagiere und Gepäckstücke Platz gefunden.
So kurven wir denn durch Siebenbürgen und sind wenige Minuten später in Valea Viilor, oder zu Deutsch: Wurmloch. Ob Einstein sich das wohl so vorgestellt hat? Eingebettet in die malerischste Landschaft, besteht das Dorf hauptsächlich aus einer großen Straße, auf der ab und zu der der ein oder andere Pferdewagen fährt. Den Mittelpunkt bildet eine große Kirchenburg, eine geniale Erfindung der Siebenbürgen: In einem solchen Gebäude kann man nicht nur Gottesdienst feiern, sondern auch im Angriffsfalle das ganze Dorf verschanzen.
Hier haben nun also Julis Großeltern nun also einen großen Teil ihres Lebens verbracht. Ein Jahr nach der Geburt von Julis Vater wanderten sie nach Deutschland aus. Die alte Frau, die Besucher in die Kirchenburg einlässt, kennt sie noch persönlich. Sie weiß auch, wo sie wohnten, wer daneben wohnte, wer mit wem verwandt oder verschwägert war und wohin sie später alle auswanderten. Heute zählt die deutsche protestantische Gemeinde im Ort noch genau fünf Mitglieder, der nächste Gottesdienst ist für Weihnachten anberaumt. Seit die Kirchenburg zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört, hat die Frau ein schweres Leben. Stundenlang beaufsichtigt sie täglich die Kirche und das kleine Museum, und wenn nach Ende der Öffnungszeiten weitgereiste Touristen vor verschlossenen Türen stehen, finden sie dort ihre Nummer. Dann schwingt sie sich aufs Rad und schließt noch mal auf. Wenigstens trägt sie dadurch dazu bei, dass ihr kulturelles Erbe nicht verloren geht. Während unser Privatshuttle uns bald aus der dörflichen Idylle des Wurmlochs wieder zu den Fossilien der Industrialisierung in Copsa Mica katapultiert.
***
„Geht lieber nicht nach Bukarest. Da gibt es doch nichts zu sehen. Nur alle, die es in Rumänien nirgendwo zu etwas gebracht haben, tummeln sich irgendwann in der Hauptstadt.“ So hatten uns Radus Freunde noch wenige Tage zuvor gewarnt. Dennoch haben wir Bukarest nicht von unserem Reiseplan gestrichen – zum einen, weil es hier einen Flughafen gibt und zwei Mitreisende sich leider schon verabschieden müssen. Außerdem ist die Hauptstadt eines Landes fast immer interessant. Bukarest fasziniert durch seine Hässlichkeit. Sein Verfall ist nicht charmant wie an so vielen anderen Ecken Rumäniens, sondern wirklich abstoßend. Von den ohnehin schon nicht gerade pittoresken Plattenbauten bröckelt der Putz, aus den Hinterhöfen stinkt es nach den streunenden Hunden, die dort nach Essen suchen, Plätze sind von Tauben- und Parks von Entendreck übersät. Es gibt Strommasten, die sich vor Kabeln biegen, deren Enden völlig ungesichert in die Luft ragen.
Es gibt Straßenschluchten, so tief, dass einem am Grunde das Atmen schwer fällt. Es gibt Straßenkreuzungen, so groß wie viele Fußballfelder, was die Orientierung als Fußgänger erheblich erschwert. Nichts passt zusammen: Hier versucht sich Bukarest groß und weltgewand, mit Hochglanzläden und Coffeeshops und großformatigen Werbetafeln an den Hauswänden, in einer Seitenstraße versteckt sich hinter Geröll und Bauschutt eine uralte orthodoxe Kirche. In der historischen Altstadt ist alles Authentische von einer dicken Schicht Touristenkitsch und überteuerten Ausgehlokalen überdeckt. Die Taxifahrer sind hier aufdringlicher als sonst wo, und sie verlangen horrende Preise für die kürzesten Wege. Wer sich nicht auskennt, ist aufgeschmissen. Aber am beängstigendsten ist vielleicht der Teil der Stadt, den der egomanische kommunistische Führer des Landes, Ceausescu, ersonnen hat. Ganze Viertel, darunter auch das jüdische, wurden dem Erdboden gleichgemacht, um dem Diktator eine Wohnstadt nach seinem Geschmack zu ermöglichen. Mit 5100 Zimmern und einer eigens errichteten Allee mitsamt angrenzenden Prachtbauten, die auf das monströse Gebilde hinführen.
Als Stein gewordener Größenwahnsinn steht der Palast auch heute noch mitten in der Stadt und löst bei der Bevölkerung die unterschiedlichsten Gefühle aus, wird, je nach Standpunkt des Betrachters als ungeliebte Erinnerung an die Jahre der Unfreiheit oder als Beweis der Leistungsfähigkeit des Sozialismus angesehen. Schön ist er auf jeden Fall nicht. Aber es ist ein offenes Geheimnis, dass auch extreme Hässlichkeit als anziehend empfunden werden kann. In Bukarest ist dies der Fall. Die Stadt wirkt in all ihrer Schäbigkeit und mit ihren Ungereimtheiten fast surreal. Das stimuliert die Fantasie beim schlendern durch Straßen und über Plätze. Leicht lässt sich ausmalen, jede Ecke, jedes halbzerfallene Gebäude hätte eine Geschichte, eine spannende, voller Absurditäten und unvorhergesehener Wendungen. Bukarest ist ein Stadt zum fabulieren. Zum Wohnen eher weniger.
Und wieder die Taxifahrer. Kaum treten wir aus dem Bahnhof in Constanta, schon heften sie sich uns an die Fersen. Sie wollen partout nicht locker lassen. Wir aber haben aus bisherigen Erfahrungen gelernt und preschen direkt auf ein Maxitaxi zu. Maxitaxis sind Minibusse, die nach Bedarf an bestimmten Haltestellen stoppen, die Nummer 23 fährt zu unserem Campingplatz. Steht zumindest im Reiseführer. „Mamaia?“, fragt der Fahrer nur durch die geöffnete Fahrzeugtür, wir nicken, ja, in diesen Urlaubsvorort von Constanta wollen wir, und schwupp! Schon sind wir drin. Erst als wir sitzen, kommt uns die Idee, man hätte ja mal fragen können, ob der auch tatsächlich an unserem Campingplatz hält… Jetzt ist es zu spät. Was aber noch weitaus beunruhigender ist, ist die Anzahl an Menschen, die jetzt noch zusteigen. An jeder Station werden es mehr, bald schon ist jede Bewegung unmöglich geworden. Selbst wenn wir im richtigen Fahrzeug sitzen würden, hätten also keinerlei Chance, auch auszusteigen. Abgesehen davon, dass wir die richtige Haltestelle gar nicht erkennen würden. Das Maxitaxi fährt und fährt. Irgendwann werden wir unruhig und fragen unsere Mitreisenden, ob wir auf dem richtigen Weg sind. Da kommt Bewegung in die zusammengepferchte Menschenmasse. Englisch scheint niemand zu sprechen und den Campingplatz scheint auch niemand zu kennen. Aber der Zettel mit der Adresse wird herumgereicht und interessiert gelesen, es wird wild diskutiert und bald ist der ganze Bus in die Debatte verwickelt. Wir fahren an einem Campingplatz vorbei, „der könnte es gewesen sein…“ sage ich. Schon zu spät. Der war es auch wirklich, bestätigt uns später der Busfahrer. Der Name, der im Reiseführer angegeben war, steht nur ganz klein auf einem Schild und die Haltestelle heißt anders. „Macht nichts“, sagt zum Glück der sympathische Busfahrer, auf dem Rückweg nach Constanta kommen wir wieder am selben Punkt vorbei. Jetzt nimmt die Zahl der Fahrgäste auf einmal sehr schnell ab. Die wenigen, die noch zusteigen, beginnen einen Plausch mit dem Fahrer und bekommen gleich die sensationelle Story von den drei deutschen Mädchen zu hören, die es schaffen, sich zwischen Constanta und Mamaia zu verfahren, und beäugen uns neugierig. Wir verstehen immer nur „germana“ und den Namen des Campingplatzes. Eigentlich ganz witzig, Tagesgespräch zu sein. Die Sonne geht inzwischen schon unter. Wir parken an der Endhaltestelle, der Fahrer macht eine Raucherpause. Seine Tochter oder Freundin oder auch eine völlig fremde Person ist auch noch da und unterhält sich ein wenig mit uns. Etwa eine Stunde später und in stockfinsterer Nacht sind wir endlich an unserem Ziel angelangt. Das Meeresrauschen am nächtlichen Strand entschädigt allerdings für einiges.
Vama Vecche ist der optimale Zielpunkt einer anstrengenden Reise. Er ist vielleicht überhaupt der beste Platz zum Entspannen, den der kleine Küstenort gilt seit langem als gechilltester in ganz Rumänien. Früher tummelten sich hier Hippies und Nudisten, und noch heute weht ein alternativer Wind durch die drei Straßen des kleinen Urlaubsdorfes. In der Einkaufsstraße kann man sich Henna-Tatoos malen oder Haarstähnen mit Wollfaden umwickeln lassen, zu kaufen gibt es Stoffsäcke, türkische Hosen und fair gehandelte Klamotten aus aller Welt. Über alledem schwebt der leichte Duft von Joints, der sich nie so ganz verliert. Kaum sind wir angekommen, da kommt schon ein leicht ergrauter Mann auf uns zu und bietet uns einen Campingplatz für 20 Lei (5 Euro) pro Nacht an. Wir folgen ihm etwa 200 Meter die Straße entlang und biegen nach rechts in den „Campingplatz“ ein, der sich als ausgedehnter Garten hinter seinem Wohnhaus entpuppt. Rechts wachsen Rosen, Apfelbäume und Weinstöcke, rechts ist eine Rasenfläche, auf der das junge Völkchen seine Zelte aufschlagen kann.
Eine Dusche und ein Plumpsklo gibt es auch, alles sehr improvisiert, aber das Wasser ist solargeheizt! Alles in allem eine für diesen Preis sehr stilechte Unterkunft. Der Strand ist auch nur fünf Minuten Fußmarsch entfernt. Bei einem Bummel am Sandstrand entlang begegnet man auch einer ganzen Menge sehr gechillter Menschen, die tatsächlich direkt am Meer zelten, keine zehn Meter von der Brandung entfernt. Bei stürmischem Wetter eine recht nasse Angelegenheit… Wir vertreiben uns mit lesen und Karten spielen die Zeit. Am nächsten Tag scheint wieder die Sonne. Da ist der Strand ganz von Handtüchern uns sonnengebräunten Leibern übersät.
Wem das zu ungechillt ist, der kann ins ebenfalls nur einen Fußmarsch weit entfernte Bulgarien ausweichen, wo es kilometerlange unbewachte Naturstrände gibt.
Abends wird gechillt gefeiert: Dann reiht sich am Strand eine Bar an die andere, wobei die meisten gleichzeitig als Open-Air-Klub fungieren. Mindestens in jedem zweiten kommt Livemusik, aus den restlichen tönt nonstop gute Musik: Succer Love, Californication, Song Two. Man kann sich ruhig an einer Bar sein obligatorisches Timisoareana kaufen, dort ein wenig bleiben und, wenn einem danach ist, samt Bier ein Haus weiterziehen, hier ein wenig tanzen, dort noch ein Bier, hier auf dem Spielplatz ein wenig schaukeln und wippen.
Und den Gedanken am Besten gaaanz weit wegschieben, das der schöne Urlaub schon bald vorbei ist und man sich von Rumänien verabschieden muss.
Abends treffen wir uns mit Radu in einem Restaurant, das direkt am Fluss gelegen ist. Wir lernen das vielleicht beste rumänische Bier, Timisoareana, sowie Radus Freunde kennen. Und Radu hat viele Freunde. Irgendwie fast alle, die im Laufe des Abends in den Biergarten treten, werden sofort an unseren Tisch gewinkt. Bald sind wir von einem Dutzend rumänischer Informatiker umringt. Unser Reiseplan weckt Erstaunen: „Fünf Mädchen reisen ganz allein quer durch Rumänien? Ob wir keine Angst hätten? Nein, sollten wir? Soweit fühlen wir uns wohl in Rumänien. Sehr sogar.
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Wir schlendern im schönsten August-Sonnenschein durch Sibiu, ehemalige Hauptstadt der in Rumänien lebenden Deutschen, der sogenannten Sachsen. Die Stadt ist ein Schmuckkästchen-herrschaftlich-barocke Stadthäuser mischen sich mit einer charmanten Heruntergekommenheit.
In der Altstadt findet just an diesem Tag ein Folklorefestival statt. Die Straßen sind vollgestopft von Mädchen in rauschenden Tanzröcken, Jungs mit kecken Hüten auf dem Kopf, Musikanten mit Blechblasinstrumenten, Geigen, Akkordeons und Instrumenten, die ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen habe. Die Gruppen kommen aus unterschiedlichen Teilen Rumäniens und aus der ganzen Welt. Fasziniert betrachte ich die jungen, aufgeregt plappernden Traditionsliebhaber: Keine zwei Trachten gleichen einander, aber alle verstehen es, das physische Kapital ihres Trägers gekonnt in Szene zu setzen. So anders als der Diskobesuch war das Dorffest damals auch nicht. Man amüsiert sich und sucht Anschluss, wobei das Äußere eindeutige Signale versendet.
Schließlich setzt sich die Prozession in Bewegung, die Mitwirkenden bewegen sich tanzend und musizierend zum Marktplatz. Dort ist eine große Bühne aufgebaut, außerdem Scheinwerfer, Kabel, Kameras, Übertragungswagen- Wir sind Zeugen eines kulturellen Höhepunktes. Der Platz wimmelt von Menschen aller Altersgruppen. Die schlanke und sympathische Brünette, die durch den Abend führt, begrüßt alle Gäste wie alte Bekannte. Die langjährige Leiterin einer der auftretenden Tanzkreise feiert just heute Abend ihren achtzigsten Geburtstag. Es wird gesungen und eine feuerwerksgeschmückte Torte überreicht, woraufhin die Jubilantin, den Tränen nahe, eine bewegende Ansprache hält. Dann fasst sie ihr Tanzpartner bei der Hand, und die Tanzoma verlässt, sich beständig um die eigene Achse drehend, die Bühne. Der Rock wippt lustig mit.
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Die Bremsen quietschen, und langsam und ruckelnd kommt der alte Zug zum stehen. Jetzt gilt es nur noch, mit den schweren Reiserucksäcken den ca. einen Meter bemessenden Höhenunterschied zum Bahnsteig zu überwinden, und schon sind wir da: In Copsa Mica, laut Lonely Planet der hässlichsten Stadt Rumäniens. Diesem zynischen und gemeinen Urteil kann man bei näherem Hinsehen --- nur beipflichten.
Warum wollen wir dennoch an diesen unheimlichen Ort??? Wollen wir ja gar nicht. Unser eigentliches Ziel ist ein kleines Dorf in der Nähe, in dem der Vater von meiner Mitreisenden Juli geboren wurde. Zunächst steht es schlecht um unser Vorhaben: Der Ort ist weder mit dem Zug noch mit dem Bus zu erreichen. Zum Glück hilft die Frau am Ticketschalter weiter: Sie bestellt uns ein Taxi. Wir warten auf dem staubigen Bahnhofsvorplatz mitten den streunenden Hunden, Annika: Vielleicht hätten wir sagen sollen, dass wir zu fünft sind? Da kommt auch schon unser Taxi.
Der Fahrer steigt aus. Er sieht die fünf Mädchen. Er sieht die fünf schweren Reiserucksäcke. Er sieht seinen Wagen. Es ist ein Opel Corsa. Er legt die Stirn in Falten. Er kratzt sich am Kopf. Dann muss er plötzlich lachen: „Okay, we can try!“ Fünf Minuten vorsichtigen Herumhantierens und etliche Lachtränen später haben tatsächlich alle Passagiere und Gepäckstücke Platz gefunden.
So kurven wir denn durch Siebenbürgen und sind wenige Minuten später in Valea Viilor, oder zu Deutsch: Wurmloch. Ob Einstein sich das wohl so vorgestellt hat? Eingebettet in die malerischste Landschaft, besteht das Dorf hauptsächlich aus einer großen Straße, auf der ab und zu der der ein oder andere Pferdewagen fährt. Den Mittelpunkt bildet eine große Kirchenburg, eine geniale Erfindung der Siebenbürgen: In einem solchen Gebäude kann man nicht nur Gottesdienst feiern, sondern auch im Angriffsfalle das ganze Dorf verschanzen.
Hier haben nun also Julis Großeltern nun also einen großen Teil ihres Lebens verbracht. Ein Jahr nach der Geburt von Julis Vater wanderten sie nach Deutschland aus. Die alte Frau, die Besucher in die Kirchenburg einlässt, kennt sie noch persönlich. Sie weiß auch, wo sie wohnten, wer daneben wohnte, wer mit wem verwandt oder verschwägert war und wohin sie später alle auswanderten. Heute zählt die deutsche protestantische Gemeinde im Ort noch genau fünf Mitglieder, der nächste Gottesdienst ist für Weihnachten anberaumt. Seit die Kirchenburg zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört, hat die Frau ein schweres Leben. Stundenlang beaufsichtigt sie täglich die Kirche und das kleine Museum, und wenn nach Ende der Öffnungszeiten weitgereiste Touristen vor verschlossenen Türen stehen, finden sie dort ihre Nummer. Dann schwingt sie sich aufs Rad und schließt noch mal auf. Wenigstens trägt sie dadurch dazu bei, dass ihr kulturelles Erbe nicht verloren geht. Während unser Privatshuttle uns bald aus der dörflichen Idylle des Wurmlochs wieder zu den Fossilien der Industrialisierung in Copsa Mica katapultiert.
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„Geht lieber nicht nach Bukarest. Da gibt es doch nichts zu sehen. Nur alle, die es in Rumänien nirgendwo zu etwas gebracht haben, tummeln sich irgendwann in der Hauptstadt.“ So hatten uns Radus Freunde noch wenige Tage zuvor gewarnt. Dennoch haben wir Bukarest nicht von unserem Reiseplan gestrichen – zum einen, weil es hier einen Flughafen gibt und zwei Mitreisende sich leider schon verabschieden müssen. Außerdem ist die Hauptstadt eines Landes fast immer interessant. Bukarest fasziniert durch seine Hässlichkeit. Sein Verfall ist nicht charmant wie an so vielen anderen Ecken Rumäniens, sondern wirklich abstoßend. Von den ohnehin schon nicht gerade pittoresken Plattenbauten bröckelt der Putz, aus den Hinterhöfen stinkt es nach den streunenden Hunden, die dort nach Essen suchen, Plätze sind von Tauben- und Parks von Entendreck übersät. Es gibt Strommasten, die sich vor Kabeln biegen, deren Enden völlig ungesichert in die Luft ragen.
Es gibt Straßenschluchten, so tief, dass einem am Grunde das Atmen schwer fällt. Es gibt Straßenkreuzungen, so groß wie viele Fußballfelder, was die Orientierung als Fußgänger erheblich erschwert. Nichts passt zusammen: Hier versucht sich Bukarest groß und weltgewand, mit Hochglanzläden und Coffeeshops und großformatigen Werbetafeln an den Hauswänden, in einer Seitenstraße versteckt sich hinter Geröll und Bauschutt eine uralte orthodoxe Kirche. In der historischen Altstadt ist alles Authentische von einer dicken Schicht Touristenkitsch und überteuerten Ausgehlokalen überdeckt. Die Taxifahrer sind hier aufdringlicher als sonst wo, und sie verlangen horrende Preise für die kürzesten Wege. Wer sich nicht auskennt, ist aufgeschmissen. Aber am beängstigendsten ist vielleicht der Teil der Stadt, den der egomanische kommunistische Führer des Landes, Ceausescu, ersonnen hat. Ganze Viertel, darunter auch das jüdische, wurden dem Erdboden gleichgemacht, um dem Diktator eine Wohnstadt nach seinem Geschmack zu ermöglichen. Mit 5100 Zimmern und einer eigens errichteten Allee mitsamt angrenzenden Prachtbauten, die auf das monströse Gebilde hinführen.
Als Stein gewordener Größenwahnsinn steht der Palast auch heute noch mitten in der Stadt und löst bei der Bevölkerung die unterschiedlichsten Gefühle aus, wird, je nach Standpunkt des Betrachters als ungeliebte Erinnerung an die Jahre der Unfreiheit oder als Beweis der Leistungsfähigkeit des Sozialismus angesehen. Schön ist er auf jeden Fall nicht. Aber es ist ein offenes Geheimnis, dass auch extreme Hässlichkeit als anziehend empfunden werden kann. In Bukarest ist dies der Fall. Die Stadt wirkt in all ihrer Schäbigkeit und mit ihren Ungereimtheiten fast surreal. Das stimuliert die Fantasie beim schlendern durch Straßen und über Plätze. Leicht lässt sich ausmalen, jede Ecke, jedes halbzerfallene Gebäude hätte eine Geschichte, eine spannende, voller Absurditäten und unvorhergesehener Wendungen. Bukarest ist ein Stadt zum fabulieren. Zum Wohnen eher weniger.
Und wieder die Taxifahrer. Kaum treten wir aus dem Bahnhof in Constanta, schon heften sie sich uns an die Fersen. Sie wollen partout nicht locker lassen. Wir aber haben aus bisherigen Erfahrungen gelernt und preschen direkt auf ein Maxitaxi zu. Maxitaxis sind Minibusse, die nach Bedarf an bestimmten Haltestellen stoppen, die Nummer 23 fährt zu unserem Campingplatz. Steht zumindest im Reiseführer. „Mamaia?“, fragt der Fahrer nur durch die geöffnete Fahrzeugtür, wir nicken, ja, in diesen Urlaubsvorort von Constanta wollen wir, und schwupp! Schon sind wir drin. Erst als wir sitzen, kommt uns die Idee, man hätte ja mal fragen können, ob der auch tatsächlich an unserem Campingplatz hält… Jetzt ist es zu spät. Was aber noch weitaus beunruhigender ist, ist die Anzahl an Menschen, die jetzt noch zusteigen. An jeder Station werden es mehr, bald schon ist jede Bewegung unmöglich geworden. Selbst wenn wir im richtigen Fahrzeug sitzen würden, hätten also keinerlei Chance, auch auszusteigen. Abgesehen davon, dass wir die richtige Haltestelle gar nicht erkennen würden. Das Maxitaxi fährt und fährt. Irgendwann werden wir unruhig und fragen unsere Mitreisenden, ob wir auf dem richtigen Weg sind. Da kommt Bewegung in die zusammengepferchte Menschenmasse. Englisch scheint niemand zu sprechen und den Campingplatz scheint auch niemand zu kennen. Aber der Zettel mit der Adresse wird herumgereicht und interessiert gelesen, es wird wild diskutiert und bald ist der ganze Bus in die Debatte verwickelt. Wir fahren an einem Campingplatz vorbei, „der könnte es gewesen sein…“ sage ich. Schon zu spät. Der war es auch wirklich, bestätigt uns später der Busfahrer. Der Name, der im Reiseführer angegeben war, steht nur ganz klein auf einem Schild und die Haltestelle heißt anders. „Macht nichts“, sagt zum Glück der sympathische Busfahrer, auf dem Rückweg nach Constanta kommen wir wieder am selben Punkt vorbei. Jetzt nimmt die Zahl der Fahrgäste auf einmal sehr schnell ab. Die wenigen, die noch zusteigen, beginnen einen Plausch mit dem Fahrer und bekommen gleich die sensationelle Story von den drei deutschen Mädchen zu hören, die es schaffen, sich zwischen Constanta und Mamaia zu verfahren, und beäugen uns neugierig. Wir verstehen immer nur „germana“ und den Namen des Campingplatzes. Eigentlich ganz witzig, Tagesgespräch zu sein. Die Sonne geht inzwischen schon unter. Wir parken an der Endhaltestelle, der Fahrer macht eine Raucherpause. Seine Tochter oder Freundin oder auch eine völlig fremde Person ist auch noch da und unterhält sich ein wenig mit uns. Etwa eine Stunde später und in stockfinsterer Nacht sind wir endlich an unserem Ziel angelangt. Das Meeresrauschen am nächtlichen Strand entschädigt allerdings für einiges.
Vama Vecche ist der optimale Zielpunkt einer anstrengenden Reise. Er ist vielleicht überhaupt der beste Platz zum Entspannen, den der kleine Küstenort gilt seit langem als gechilltester in ganz Rumänien. Früher tummelten sich hier Hippies und Nudisten, und noch heute weht ein alternativer Wind durch die drei Straßen des kleinen Urlaubsdorfes. In der Einkaufsstraße kann man sich Henna-Tatoos malen oder Haarstähnen mit Wollfaden umwickeln lassen, zu kaufen gibt es Stoffsäcke, türkische Hosen und fair gehandelte Klamotten aus aller Welt. Über alledem schwebt der leichte Duft von Joints, der sich nie so ganz verliert. Kaum sind wir angekommen, da kommt schon ein leicht ergrauter Mann auf uns zu und bietet uns einen Campingplatz für 20 Lei (5 Euro) pro Nacht an. Wir folgen ihm etwa 200 Meter die Straße entlang und biegen nach rechts in den „Campingplatz“ ein, der sich als ausgedehnter Garten hinter seinem Wohnhaus entpuppt. Rechts wachsen Rosen, Apfelbäume und Weinstöcke, rechts ist eine Rasenfläche, auf der das junge Völkchen seine Zelte aufschlagen kann.
Eine Dusche und ein Plumpsklo gibt es auch, alles sehr improvisiert, aber das Wasser ist solargeheizt! Alles in allem eine für diesen Preis sehr stilechte Unterkunft. Der Strand ist auch nur fünf Minuten Fußmarsch entfernt. Bei einem Bummel am Sandstrand entlang begegnet man auch einer ganzen Menge sehr gechillter Menschen, die tatsächlich direkt am Meer zelten, keine zehn Meter von der Brandung entfernt. Bei stürmischem Wetter eine recht nasse Angelegenheit… Wir vertreiben uns mit lesen und Karten spielen die Zeit. Am nächsten Tag scheint wieder die Sonne. Da ist der Strand ganz von Handtüchern uns sonnengebräunten Leibern übersät.
Wem das zu ungechillt ist, der kann ins ebenfalls nur einen Fußmarsch weit entfernte Bulgarien ausweichen, wo es kilometerlange unbewachte Naturstrände gibt.
Abends wird gechillt gefeiert: Dann reiht sich am Strand eine Bar an die andere, wobei die meisten gleichzeitig als Open-Air-Klub fungieren. Mindestens in jedem zweiten kommt Livemusik, aus den restlichen tönt nonstop gute Musik: Succer Love, Californication, Song Two. Man kann sich ruhig an einer Bar sein obligatorisches Timisoareana kaufen, dort ein wenig bleiben und, wenn einem danach ist, samt Bier ein Haus weiterziehen, hier ein wenig tanzen, dort noch ein Bier, hier auf dem Spielplatz ein wenig schaukeln und wippen.
Und den Gedanken am Besten gaaanz weit wegschieben, das der schöne Urlaub schon bald vorbei ist und man sich von Rumänien verabschieden muss.
Eva W. - 2. Okt, 16:48