Aha-Tschechien also.
"Und, was machst du nach der Schule?"
Verlegenes Lächeln. Hastige Suche nach einer Ausweichmöglichkeit. Verzweifelter Versuch:
"Ich mache ein Freiwilliges Soziales Jahr im Ausland."
"Ist ja spannend. Und wo?"
War ja klar.
"In Tschechien."
"Aha."
Betretenes Schweigen. Mitleidige Blicke.
"Und warum ausgerechnet dort??"
Ich hatte es mir einfacher vorgestellt, anderen von meinem Auslandsjahr zu erzählen. -Hatte ich mich doch vor wenigen Monaten lebhaft über die Zusage für Tschechien gefreut. Aber bei den meisten Menschen löst die Erwähnung des kleinen Landes im Osten Europas keine spontanen Begeisterungsstürme aus. Tschechien ist kein Touristenmagnet, es verfügt nicht über spektakuläre Naturwunder oder kulturgeschichtliche Meilensteine. Die Tierwelt, das Klima, das Nachtleben - allesamt eher durchschnittlich. Ja, es ist noch nicht einmal ein besonders gefährliches Land; als waghalsige Exkursion unter Einsatz des eigenen Lebens kann ich diese Reise demnach auch nicht verkaufen. Es bedurfte also einigen Einfallsreichtums, um Gesprächspartner von den Qualitäten dieses Landes zu überzeugen. Mit der Zeit gewann ich eine gewisse Routine im Antworten auf die Frage "Warum Tschechien?". Meine Reaktion variiert dabei je nach Typ des jeweiligen Zuhörers:
Geschichtsfreaks:
"Meinen Freiwilligendienst koordiniert die Aktion Sühnezeichen Friedensdienste. Im Bewusstsein, dass die Folgen des Nationalsozialismus noch immer spürbar sind und nur durch einen intensiven Dialog überwunden werden können, operiert diese Organisation vor allem in den Ländern, die am meisten unter Krieg und Besetzung gelitten haben. In Tschechien ging die deutsche Besatzungsmacht mit großer Härte vor. Immer wieder wurden brutale Verbrechen an der Zivilbevölkerung verübt. Die Vertreibung von drei Millionen Sudetendeutschen erschwerte nach Kriegsende einen freundschaftlichen Dialog. Bis heute sind nicht alle Wunden, die der Nationalsozialismus der tschechisch-deutschen Beziehung zugefügt hat, geheilt. Wir als Freiwillige können die Geschichte nicht ungeschehen machen, aber wir können dazu beitragen, die Verantwortung Deutschlands für Frieden und Stabilität gerade in Osteuropa wahrzunehmen."
Backpacker, Ökos, Individualisten:
"Nach Australien oder in die Staaten geht ja heutzutage jeder. Und Neuseeland wird ja geradezu überschwemmt von Deutschen. Aber hast du dir mal überlegt, wie stark die Umwelt durch nur einen solchen Überseeflug belastet wird? Tschechien liegt ganz in der Nähe, und doch kennen wir dieses Land kaum. Dabei gibt es so viel zu entdecken: Die dunklen böhmischen Wälder, die wild zerklüfteten Felsgebirge, die lieblich-idyllischen Hügellandschaften Mährens... Und das alles ist bequem und billig mit dem Zug erreichbar!"
Kulturfreunde, (Pseudo-)intellektuelle, Bildungsbürger:
"Tschechien ist die eigentliche Wiege der abendländischen Kultur. Kein anderes europäisches Land hat eine vergleichbare Vielzahl an Geistesgrößen jedweder Facon hervorgebracht. Denken wir nur einmal an Jan Hus, jenen Kirchenlehrer und -kritiker, bei dem Luther abgeschrieben hat. Oder an Komponisten wie Dvorák, Smetana und natürlich Janacek, meiner bescheidenen Meinung nach der meistunterschätzte Musiker des 20. Jahrhunderts, der leider viel zu selten aufgeführt wird. Nicht zu vergessen die stilbildenden Schriftsteller Kafka und Milan Kundera. Finden Sie nicht auch, dass dessen Diskurs über Schwere und Leichtigkeit des menschlichen Daseins, will heißen die tiefenpsychologische bzw. gesellschaftliche Reichweite bewusster und unbewusster Entscheidungen, die in seinen Werken immer wieder anklingt, ein wenig an (wahlweise einzusetzen: Meister Eckhardt, Kant, Freud) erinnert?"
Politiker, Zeit- und Spiegelleser:
"Was sich seit einigen Jahrzehnten in Tschechien abspielt, ist wie ein hochspannendes politisches Experiment in Lebensgröße. Zum Kommunismus genötigt, am "Sozialismus mit menschlichem Antlitz" gescheitert, wagen sich die Tschechen seit Zerfall des Ostblocks wieder vorsichtig an die Demokratie. Das ist natürlich kein leichtes Unterfangen: Die Bereitschaft der Bürger, politische Prozesse mitzugestalten, hält sich bislang noch in Grenzen, die Wahlbeteiligung ist sehr gering. Immerhin ist es letztes Jahr infolge einer landesweiten Empörungswelle gelungen, den als korrupt und rassistisch gehandelten Ministerpräsidenten Mirek Topolánek durch ein konstruktives Misstrauensvotum aus dem Amt zu bugsieren. Es muss ungeheuer reizvoll sein, diese Entwicklung vor Ort weiter mitverfolgen zu können."
Jungs:
"In Tschechien gibt es das beste Bier - und es ist billiger als Wasser!!!"
Freunde der Wahrheit:
Nun ja, und so war es wirklich: "Ich wollte einfach unbedingt mit dieser Organisation weggehen. Deshalb habe ich mich für so ziemlich jedes Land beworben. Als das bedeutungsschwere Dokument, auf dem das Wörtchen "Tschechien" geschrieben stand, in meinem Briefkasten lag, musste ich auch erst mal mit der Situation klarkommen. Ich habe also erst mal viel gelesen. Und dann geschah das Wunderbare: Je mehr ich über Tschechien und meinen künftigen Wohnort, Brünn, in Erfahrung brachte, desto besser gefiel es mir. So unscheinbar es auch wirken mag, hält es doch eine ganze Menge an Vorzügen und Überraschungen bereit! Tatsächlich habe ich dieses kleine, aber besondere Land jetzt schon fest ins Herz geschlossen und freue mich jeden Tag mehr auf die Abreise!
Immer noch nicht überzeugt? Dann empfehle ich, öfter mal in diesen Blog hineinzustöbern! Im Verlauf des folgenden Jahres werde ich meine Meinung entweder bestätigen oder revidieren. Es wird auf jeden Fall spannend…
Verlegenes Lächeln. Hastige Suche nach einer Ausweichmöglichkeit. Verzweifelter Versuch:
"Ich mache ein Freiwilliges Soziales Jahr im Ausland."
"Ist ja spannend. Und wo?"
War ja klar.
"In Tschechien."
"Aha."
Betretenes Schweigen. Mitleidige Blicke.
"Und warum ausgerechnet dort??"
Ich hatte es mir einfacher vorgestellt, anderen von meinem Auslandsjahr zu erzählen. -Hatte ich mich doch vor wenigen Monaten lebhaft über die Zusage für Tschechien gefreut. Aber bei den meisten Menschen löst die Erwähnung des kleinen Landes im Osten Europas keine spontanen Begeisterungsstürme aus. Tschechien ist kein Touristenmagnet, es verfügt nicht über spektakuläre Naturwunder oder kulturgeschichtliche Meilensteine. Die Tierwelt, das Klima, das Nachtleben - allesamt eher durchschnittlich. Ja, es ist noch nicht einmal ein besonders gefährliches Land; als waghalsige Exkursion unter Einsatz des eigenen Lebens kann ich diese Reise demnach auch nicht verkaufen. Es bedurfte also einigen Einfallsreichtums, um Gesprächspartner von den Qualitäten dieses Landes zu überzeugen. Mit der Zeit gewann ich eine gewisse Routine im Antworten auf die Frage "Warum Tschechien?". Meine Reaktion variiert dabei je nach Typ des jeweiligen Zuhörers:
Geschichtsfreaks:
"Meinen Freiwilligendienst koordiniert die Aktion Sühnezeichen Friedensdienste. Im Bewusstsein, dass die Folgen des Nationalsozialismus noch immer spürbar sind und nur durch einen intensiven Dialog überwunden werden können, operiert diese Organisation vor allem in den Ländern, die am meisten unter Krieg und Besetzung gelitten haben. In Tschechien ging die deutsche Besatzungsmacht mit großer Härte vor. Immer wieder wurden brutale Verbrechen an der Zivilbevölkerung verübt. Die Vertreibung von drei Millionen Sudetendeutschen erschwerte nach Kriegsende einen freundschaftlichen Dialog. Bis heute sind nicht alle Wunden, die der Nationalsozialismus der tschechisch-deutschen Beziehung zugefügt hat, geheilt. Wir als Freiwillige können die Geschichte nicht ungeschehen machen, aber wir können dazu beitragen, die Verantwortung Deutschlands für Frieden und Stabilität gerade in Osteuropa wahrzunehmen."
Backpacker, Ökos, Individualisten:
"Nach Australien oder in die Staaten geht ja heutzutage jeder. Und Neuseeland wird ja geradezu überschwemmt von Deutschen. Aber hast du dir mal überlegt, wie stark die Umwelt durch nur einen solchen Überseeflug belastet wird? Tschechien liegt ganz in der Nähe, und doch kennen wir dieses Land kaum. Dabei gibt es so viel zu entdecken: Die dunklen böhmischen Wälder, die wild zerklüfteten Felsgebirge, die lieblich-idyllischen Hügellandschaften Mährens... Und das alles ist bequem und billig mit dem Zug erreichbar!"
Kulturfreunde, (Pseudo-)intellektuelle, Bildungsbürger:
"Tschechien ist die eigentliche Wiege der abendländischen Kultur. Kein anderes europäisches Land hat eine vergleichbare Vielzahl an Geistesgrößen jedweder Facon hervorgebracht. Denken wir nur einmal an Jan Hus, jenen Kirchenlehrer und -kritiker, bei dem Luther abgeschrieben hat. Oder an Komponisten wie Dvorák, Smetana und natürlich Janacek, meiner bescheidenen Meinung nach der meistunterschätzte Musiker des 20. Jahrhunderts, der leider viel zu selten aufgeführt wird. Nicht zu vergessen die stilbildenden Schriftsteller Kafka und Milan Kundera. Finden Sie nicht auch, dass dessen Diskurs über Schwere und Leichtigkeit des menschlichen Daseins, will heißen die tiefenpsychologische bzw. gesellschaftliche Reichweite bewusster und unbewusster Entscheidungen, die in seinen Werken immer wieder anklingt, ein wenig an (wahlweise einzusetzen: Meister Eckhardt, Kant, Freud) erinnert?"
Politiker, Zeit- und Spiegelleser:
"Was sich seit einigen Jahrzehnten in Tschechien abspielt, ist wie ein hochspannendes politisches Experiment in Lebensgröße. Zum Kommunismus genötigt, am "Sozialismus mit menschlichem Antlitz" gescheitert, wagen sich die Tschechen seit Zerfall des Ostblocks wieder vorsichtig an die Demokratie. Das ist natürlich kein leichtes Unterfangen: Die Bereitschaft der Bürger, politische Prozesse mitzugestalten, hält sich bislang noch in Grenzen, die Wahlbeteiligung ist sehr gering. Immerhin ist es letztes Jahr infolge einer landesweiten Empörungswelle gelungen, den als korrupt und rassistisch gehandelten Ministerpräsidenten Mirek Topolánek durch ein konstruktives Misstrauensvotum aus dem Amt zu bugsieren. Es muss ungeheuer reizvoll sein, diese Entwicklung vor Ort weiter mitverfolgen zu können."
Jungs:
"In Tschechien gibt es das beste Bier - und es ist billiger als Wasser!!!"
Freunde der Wahrheit:
Nun ja, und so war es wirklich: "Ich wollte einfach unbedingt mit dieser Organisation weggehen. Deshalb habe ich mich für so ziemlich jedes Land beworben. Als das bedeutungsschwere Dokument, auf dem das Wörtchen "Tschechien" geschrieben stand, in meinem Briefkasten lag, musste ich auch erst mal mit der Situation klarkommen. Ich habe also erst mal viel gelesen. Und dann geschah das Wunderbare: Je mehr ich über Tschechien und meinen künftigen Wohnort, Brünn, in Erfahrung brachte, desto besser gefiel es mir. So unscheinbar es auch wirken mag, hält es doch eine ganze Menge an Vorzügen und Überraschungen bereit! Tatsächlich habe ich dieses kleine, aber besondere Land jetzt schon fest ins Herz geschlossen und freue mich jeden Tag mehr auf die Abreise!
Immer noch nicht überzeugt? Dann empfehle ich, öfter mal in diesen Blog hineinzustöbern! Im Verlauf des folgenden Jahres werde ich meine Meinung entweder bestätigen oder revidieren. Es wird auf jeden Fall spannend…
Eva W. - 24. Jul, 19:21